Die Rentenlüge Teil 1. Traust Du dem staatlichen Rentenversprechen noch?

Die Rentenlüge Teil 1. Traust Du dem staatlichen Rentenversprechen noch?

Das Thema Rente ist längst zum Dauerbrenner geworden, es hat sich vieles zum Schlechten verändert, seit Norbert Blüm seinen berühmtes Statement abgab: „Die Rente ist sicher!“ – davon sind wir mittlerweile meilenweit entfernt. Allerdings scheinen sich noch immer viele Rentenversicherte nicht darüber bewusst zu sein, wie drastisch die finanziellen Einschnitte im Alter ausfallen werden. Dazu tragen nicht zuletzt die Informationsschreiben der Rentenversicherung bei, die einerseits eine mögliche Rente hochrechnen, andererseits wichtige Aspekte nur am Rande erwähnen. Grund genug, um sich auf der Grundlage belastbarer Fakten einen Überblick zu verschaffen.

1. Geschichte und Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung

Die heutige gesetzliche Rentenversicherung ist wesentlicher Bestandteil des deutschen Sozialversicherungssystems für abhängig Beschäftigte. Die Finanzierung der Rentenversicherung erfolgt größtenteils im Umlageverfahren: Heute aktiv Erwerbstätige gewährleisten gemeinsam mit dem vom Arbeitgeber zu leistenden Beitragsteil die Finanzierung der derzeitigen Leistungen, die Altersrentner, Erwerbsgeminderte oder Hinterbliebene von der Rentenversicherung erhalten. Im Gegenzug erwerben sich die heutigen Beitragszahler ihrerseits Ansprüche an die Rentenversicherung, die dann wiederum von den künftigen Beitragszahlern realisiert werden müssen.

Der Bund beteiligt sich mit Steuermitteln, die einerseits die Erfüllung der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der GRV sicherstellen sollen, aber andererseits auch die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen abdecken. Dazu zählen beispielsweise die Anrechnung der Kindererziehungszeiten seit 1992, vorgezogene Rentenleistungen in Form von Altersteilzeitlösungen oder Mindestrenten. Nicht zu unterschätzen sind die zusätzlichen Mittel, die alleine zum Ausgleich der demografischen Entwicklung, aber auch zur Finanzierung von Berufsförderungs- und Reha-Maßnahmen oder zur Verwaltung der versicherungsfremden Leistungen vom Bund bereitgestellt werden.

Die Rentenversicherung befasst sich heute also mit deutlich mehr als der finanziellen Absicherung ihrer Versicherten bei Invalidität oder ab dem Renteneintritt, gehören die versicherungsfremden Leistungen doch originär in den Bereich Sozialpolitik und nicht zum ursprünglichen Zweck der Absicherung für das Alter, für den Fall der Invalidität oder der Hinterbliebenen.

1.1. Historie & Kerngedanke der Rentenversicherung

Zu diesem Zweck betrieben schon im Mittelhalter die Gilden und Zünfte Selbsthilfeeinrichtungen, die ihren Mitgliedern oder deren Hinterbliebenen Sicherheit für die Ernstfälle des Lebens gewähren sollten. So gelten Bergbau und Handwerk als Vorläufer der Sozialversicherung, wie sie heute bekannt ist. Die erste landesgesetzlich geregelte öffentlich-rechtliche Versicherung für Arbeiter wurde im April 1854 mit dem Gesetz über die Vereinigung der Berg-, Hütten- und Salinen-Arbeiter in Knappschaften organisiert: Die Mitglieder mussten Beiträge für eine von der Kasse festgelegte Mindestleistung bezahlen. Kaiser Wilhelm I. leitete auf Anraten seines Reichskanzlers Otto von Bismarck im Jahr 1881 die Entwicklung einer Arbeiterversicherung ein, die bei Krankheit, Unfall, Invalidität und im Alter Leistungen erbringen sollte. Diese Initiative kam nicht von ungefähr: Die zunehmende Industrialisierung hatte die neue Klasse der Arbeiter hervorgebracht, die angesichts der fehlenden sozialen Absicherung und der daraus resultierenden Not den sozialdemokratischen Einfluss verstärkte. Resultat:

1883 – Verabschiedung des Krankenversicherungsgesetzes
1884 – Verabschiedung des Unfallversicherungsgesetzes
1889 – Verabschiedung des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes

Die erste gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland sah neben einer Invalidenrente für den Fall der Erwerbsunfähigkeit auch eine Altersrente ab 70 vor – Parallelen zu aktuellen Diskussionen drängen sich auf, Du solltest jedoch die damals drastisch kürzere Lebenserwartung berücksichtigen. Als Voraussetzung galt eine Beitragszahlungsdauer von wenigstens 30 Jahren bei 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Der Beitragssatz belief sich auf 1,7 Prozent des Bruttoverdienstes, die nur zu einem Drittel vom Arbeitnehmer bestritten werden mussten. Der Arbeitgeber beteiligte sich mit einem weiteren Drittel, das restliche bestand aus staatlichen Zuschüssen. Die Beiträge wurden auf Anraten Bismarcks nicht privatwirtschaftlich angelegt, um das Kapital nicht den Marktrisiken auszusetzen. Schon damals galten die einkommensabhängigen Regeln zur Versicherungspflicht, die Einkommensgrenze lag bei 2.000 Mark jährlich und umfasste somit die Arbeiter und kleinen Angestellten.

Angesichts der Tatsache, dass die gesetzliche Rentenversicherung bis heute Bestand hat und insbesondere im letzten Jahrhundert wahre Katastrophen überstehen konnte, wird die historische Bedeutung dieser richtungweisenden Entscheidungen deutlich. Es ist jedoch eine Frage der Ausgestaltung, die über den Erfolg des Versicherungssystems entscheidet – und genau da scheiden sich die Geister.

1.2. Rentenniveauentwicklung & Zukunftsaussichten

War die gesetzliche Rentenversicherung zunächst als System zum Ansparen einer Altersversorgung auf einem persönlichen Versicherungskonto konzipiert, musste dieser Ansatz schon mit dem ersten Weltkrieg über Bord geworfen werden: Die Reserven der Rentenversicherung schrumpften angesichts der Hyperinflation von 2,12 Milliarden Mark im Jahr 1914 angesichts um fast 85 Prozent – und das innerhalb von zehn Jahren. Leistungen mussten in der Folge zunehmend aus laufenden Beiträgen finanziert und kräftig vom Staat bezuschusst werden, die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 machte zusätzlich drastische Leistungseinschnitte notwendig. Die staatliche Unterstützung stieg nach dem zweiten Weltkrieg auf bis zu 50 Prozent an – eine Reform des Systems war unumgänglich. Im Jahr 1957 wurde deswegen auf das heute noch gültige Umlageverfahren umgestellt: Der Beitragssatz von damals 14 Prozent wurde hälftig von Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen und direkt zur Finanzierung der nun deutlich höheren Rentenleistungen eingesetzt.

Konnte das Standardrentenniveau nach dieser Reform von 1957 zunächst kräftig steigen, da ja keine übermäßigen Rücklagen mehr zu bilden waren, sinkt es seit den 70ern kontinuierlich. Vor allem verwirren die unterschiedlichen Begrifflichkeiten: Wurde einst das Brutto-Rentenniveau ausgewiesen, erforderte die Einführung der nachgelagerten Besteuerung die Abstellung auf das Netto-Rentenniveau. Auch dies musste nochmals überarbeitet werden, sodass seit 2005 vom Standard-Rentenniveau vor Steuern gesprochen wird – und zwar als Verhältnis der Standardrente nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, aber vor Abzug der Steuern und dem Durchschnittseinkommen des jeweiligen Jahres nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge – ebenfalls vor Steuern. Diese können nicht mehr einheitlich berücksichtigt werden, da Versicherte ihre Rente in Abhängigkeit vom Rentenjahrgang zu einem unterschiedlichen Anteil versteuern müssen.

Damit wird die Entwicklung des Rentenniveaus natürlich unübersichtlich: Lag das Brutto-Rentenniveau im Jahr 2002 bei 48,3 Prozent, entsprach das einem Netto-Rentenniveau vor Steuern von 52,9 Prozent. Für das Jahr 2009 wurden in den alten Bundesländer für das Brutto-Rentenniveau 46,4 Prozent und für das Netto-Rentenniveau vor Steuern 50,2 Prozent gemeldet. Allerdings kommen nun die verschiedenen Reformen zum Tragen, die das Leistungsniveau in den nächsten Jahren immer weiter sinken lassen: Bis zum Jahr 2020 soll das Netto-Rentenniveau vor Steuern bei 46 Prozent liegen, im Jahr 2030 nur noch bei 43 Prozent. Gleichzeitig wird die Regelaltersgrenze sukzessive von einst 65 auf 67 Jahre im Jahr 2029 angehoben – weitere Schritte in dieser Richtung sind längst im Gespräch. Selbst die Absichtserklärung der Koalitionspartner, das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 auf 48 Prozent festschreiben zu wollen, ist angesichts der vagen Beschreibung und wackeligen Finanzierung mit Vorsicht zu genießen.

1.3. Bevölkerungsentwicklung & Herausforderung

Ein Funktionieren des Umlageverfahrens setzt nämlich voraus, dass die nachfolgenden Generationen versicherungspflichtig berufstätig sind und ausreichend Beiträge in die Rentenkasse einzahlen. Allerdings zeigt sich immer wieder, dass es eine ganze Reihe verschiedener Variablen gibt, die die Stabilität dieses Systems beeinträchtigen: Sinkt beispielsweise die Erwerbsquote bei hoher Arbeitslosigkeit, steigen die Arbeitseinkommen zu langsam oder werden die Versicherten immer älter und beziehen somit im Vergleich länger Rentenleistungen, wächst auch der Finanzierungsdruck. Ein weiterer Faktor ist der Versichertenkreis, denn bis heute sind weder Selbstständige noch Beamte dazu verpflichtet, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Nicht zu vergessen sind die Belastungen durch die Wiedervereinigung, die sich gleich doppelt bemerkbar machten: Einerseits wurden die DDR-Anwartschaften in die allgemeine Rentenversicherung übertragen, andererseits stieg die Erwerbslosenzahl nach der Wende drastisch an.

Als besondere Herausforderung erweist sich die demografische Entwicklung: Der Geburtenrückgang vor und nach der Wiedervereinigung ließ die Anzahl der Erwerbstätigen sinken – und das bei steigender Lebenserwartung. Damit verschiebt sich das Verhältnis zwischen den Beitragszahlern einerseits und Leistungsempfängern der Rentenversicherung andererseits. Bereits 1992 folgten deswegen erste Einschnitte, indem die Rentenentwicklung von der Bruttolohnentwicklung ab- und an die Nettolohnentwicklung angekoppelt wurde. 1997 sollte die Einführung des demografischen Faktors weiterhelfen. Allerdings wurde dieser von der 1998 neu gewählten Regierung abgeschafft und anschließend als Nachhaltigkeitsfaktor wieder aktiviert. Unter dem Strich heißt das: Der Rentenanstieg wurde begrenzt, was unter Berücksichtigung der Teuerungsraten zu stagnierenden oder sogar sinkenden Renten führte – und weiter führen wird.

1.4. Wer zahlt überhaupt in die Rentenversicherung ein?

Vom Grundsatz her sind alle abhängig Beschäftigten Pflichtmitglieder der deutschen Rentenversicherung. Darüber hinaus können weitere Personengruppen versicherungspflichtig sein, wie beispielsweise Auszubildende, Elternteile während der Kindererziehungszeit, nicht erwerbstätige Pflegepersonen, behinderte Menschen, Bezieher von Kranken- oder Arbeitslosengeld, Studenten mit Nebenjob – allerdings mit vielen Ausnahmen, sowie einige Selbständige. Dazu zählen beispielsweise Handwerker, Hausgewerbetreibende, Künstler, Publizisten, Selbständige mit einem einzigen Auftraggeber, aber auch Seelotsen, Küstenfischer- und -schiffer sowie Lehrer, Erzieher, Hebammen und im Pflegebereich Tätige.

Besonders kompliziert wird die Situation seit der Einführung der Flexi-Rente: Seit dem 1.1.2017 kannst Du nämlich eine volle Altersrente beziehen, auch wenn Du die Regelaltersrente noch nicht erreicht hast, und einer Beschäftigung nachgehen – die dann jedoch rentenversicherungspflichtig ist. Außer Du übst einen Minijob aus, dann kannst Du Dich von der Rentenversicherung befreien lassen. Achtung: Für alle Altersrentner, die vor dem 31.12.2016 bereits einer rentenversicherungsfreien Beschäftigung nachgingen, bleibt diese Regelung jedoch erhalten, wollen sie nicht bewusst auf diese Befreiung verzichten.

Im Gegensatz zu den genannten Berufsgruppen sind einige generell von der Rentenversicherungspflicht ausgeschlossen, wie beispielsweise Beamte und Richter, Berufs- und Zeitsoldaten, Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Ärzte und Rechtsanwälte, kurzfristig Beschäftigte und geringfügig selbständig Tätige sowie Bezieher von Altersrente oder Versorgungsleistungen nach dem Erreichen der jeweiligen Altersgrenze. Bei Selbständigen und Freiberuflern entscheidet sich die Frage nach der Pflichtversicherung in Abhängigkeit vom konkreten Betätigungsfeld: Werden einige, wie beispielsweise Rechtsanwälte, Ärzte oder auch Handwerker, Mitglied in berufsständischen Versorgungswerken, bleiben andere davon vollkommen unberührt und müssen ihre Altersversorgung eigenständig organisieren.

An einer Berufsgruppe scheiden sich regelmäßig die Geister: Beamte bezahlen nämlich keinerlei Beiträge zur Rentenversicherung, da ihre Pensionen aus den laufenden Steuereinnahmen finanziert werden. Mit durchschnittlich 68 Prozent des Bruttogehalts, das Beamte in den letzten beiden Jahre vor Pensionierung bezogen haben, bewegen sich diese Bezüge auf einem komfortablen Niveau. Andere Länder, wie zum Beispiel Österreich, regeln diese Frage ganz anders, hier müssen alle in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Altersrente liegt um mehrere hundert Euro monatlich höher als in Deutschland, das ohnehin im Vergleich der OECD sehr schlecht abschneidet. Mit 50,5 Prozent vom Nettoeinkommen belegen die in Deutschland zu erwartenden Renten den fünften Rang unter den EU-Ländern – von hinten. Spitzenreiter ist Kroatien mit mehr als 129 Prozent, dann folgen die Niederlande mit mehr als 100 Prozent und Portugal mit knapp 95 Prozent des Nettoeinkommens. Italien und Österreich bleiben ebenfalls klar über 90 Prozent, selbst der OECD-Durchschnitt liegt bei über 70 Prozent (http://www.isnichwahr.de/i244681-rentenniveau-eu-vergleich-quelle-muenchner-merkur-vom-061217.html) – davon sind wir weit entfernt, wie Du ganz pragmatisch Deiner jährlichen Renteninformation entnehmen kannst.

Wie Du Deine Renteninformation richtig interpretierst und was in diesem jährlichen Schreiben wirklich steht, erfährst du in Teil 2 dieses Artikels: Die Rentenlüge Teil 2. Was Dir Deine jährliche Renteninformation sagen soll.

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